RE:Chiron 1

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kentaur Cheiron
Band III,2 (1899) S. 23022308
Cheiron in der Wikipedia
GND: 11903588X
Cheiron in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register III,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|III,2|2302|2308|Chiron 1|[[REAutor]]|RE:Chiron 1}}        

Chiron. 1) Der Kentaur. In der litterarischen Überlieferung vorwiegend Χείρων, auf attischen Vasen durchweg Χίρων. Kretschmer Die griech. Vaseninschr. 131f. Κhιρων in einer hocharchaischen Inschrift auf der Stadthöhe von Thera (nach brieflicher Mitteilung des Herrn Dr. F. Hiller v. Gaertringen).

1) Etymologie. Ch. ist der Gott der schmerzmildernden, kunstgewandten Hand; der Name ist ein Hypokoristikon von χειρίσοφος einem andern mit χείρ zusammengesetzten Wort. Cornut. theol. 33 fin. Et. M. Mannhardt Ant. Wald- und Feldkulte 46. Usener Griech. Götternamen 156f. Vgl. Fick-Bechtel Griech. Personennamen 414. 433. Et. Gud. Erotian. lex Hippokr. s. Χειρωνάκται.

2) Localisierung und Kult. Kronos erzeugt den Ch. in Lakereia am boibeischen See; Ch. lebt auf dem Pelion, dessen Ortsgottheit er ist. Pind. Pyth. III 1f. Kypr. frg. 2 K. Hes. cat. frg. 38 K. Eur. I. A. 705. Dikaiarch. frg. 60. Nikand. het. frg. 42; ther. 502. Ovid. met. VII 352; Χειρώνειος ἄκρα über der Küste Sepias Schol. Il. XVI 144; Χειρωνίδες ἄκραι Kall. h. in Del. 103. Seine Wohnung ist eine Höhle, Pind. Pyth. III 63. IV 102. IX 30; Isthm. VII 42; Nem. III 43. Ovid. met. II 630; fast. V 381f. Schol. Arat. 436; Πελεθρόνιον ἄντρον Philarg. zu Verg. Georg. III 115. Χίρων Πελεθρόνιος Hesych.; Μάγνης Pind. Pyth. III 45; vgl. Schol. Il. XVI 14ff. v. Wilamowitz Herm. XXX 1895, 196. Noch in später Zeit gab es am Fusse des Pelion ein Geschlecht, das sich auf Ch. zurückführte und die Heilkunde, die vom Vater auf den Sohn als strenges Geheimnis vererbt wurde, unentgeltlich ausübte, Dikaiarch frg. 60. Dem Ch. als Arzt brachten die Magneten Gaben dar, Plut. quaest. conv. III 3. Von einem Menschenopfer an Ch. und Peleus im thessalischen Pella spricht Monimos, FHG IV 454. Panofka Arch. Ztg. I 172. IX 399 setzt den Apollon im magnesischen Hylai (Paus. X 32, 6) dem Ch. gleich. In Arkadien und Lakonien ist Ch. nicht ursprünglich zu Hause.

3) Genealogie. Ch. ist der Sohn des Kronos und der Philyra. Kronos wohnte ihr in Rossgestalt bei oder er verwandelte sich, von Rea überrascht, in ein Ross, oder Philyra wurde nach dem Umgange mit Kronos verwandelt. Dies soll den Rossleib des Ch. erklären. Titanomachie frg. 7 K. Pherekydes in Schol. Apoll. Rhod. I 554. II 1231. Apollod. I 9 W. Schol. Lyk. 1203. Schol. Il. I 266. IV 219. Eustath. Il. 463, 33. Hyg. fab. 138. 274; astr. II 38. Serv. Philarg. und Probus zu Verg. Georg. III 93. Hesych. Κρονίδης Pind. Pyth. III 4. IV 115. Nikand. ther. 501. Orph. lith. praef. 11; Philyrides, Philyreius heros, Pind. Pyth. III 1. VII 22. IX 30. Hes. theog. 1003. Apoll. Rhod. I 554. Ovid. met. II 676; fast. V 383. 391. Vergil. georg. III 550. Prop. II 1, 60. Orph. Arg. 450. Bruder des Ch. ist Dolops (Hyg. fab. praef. p. 11 Schm.) oder Aphros, Ioann. Antioch. frg. 6, FHG IV 542. Tümpel Philologus XLIX 1890, 116f. Nach Suid. frg. 1, FHG II 464 = Schol. Apoll. Rhod. I 554. II 1231. Lucan. VI 386f. stammt Ch. wie die andern Kentauren von Ixion und Nephele und ist Bruder des Peirithoos. Schol. Il. IV 219 heisst er ein Sohn des Poseidon. Gattin des Ch. ist [2303] die Nymphe Chariklo. Hes. cat. frg. 104 K. Pind. Pyth. IV 103 und Schol. Apoll. Rhod. I 554. II 813 und Schol. Ovid. met. II 686. Ein Sohn des Ch. ist Karystos, der Eponyme der euboischen Stadt Karystos, die nach Theodoridas auch Cheironeia genannt wurde, Pind. Pyth. IV 103 (181). Schol. Lyk. 580. Steph. Byz. Eustath. Il. 281, 9. Rossbach DLZ 1894, 179; ein anderer einer der vier Aristaioi, Schol. Apoll Rhod. II 498 = Bakchylides frg. 62. Tochter des Ch. ist Hippe, die Mutter der Melanippe. Eur. Melanippe arg. p. 129 N. frg. 492 N. Hyg. astr. II 18 (= Kall frg. 386 Schn.). Schol. Germ. Arat. p. 79, 3. 141, 6. Pollux. VI 141; oder Melanippe selbst (?) ist eine Tochter des Ch., Eratosth. cat. 18. Auch Thetis soll die Tochter des Ch. sein, Schol. Apoll. Rhod. I 558. Hyg. fab. 14. Dict. Cret. I 14. VI 7. Tzetzes Antehom. 180. Gräf Arch. Jahrb. I 1886, 199. Nach Hyg. astr. II 18 ist Thetis der frühere Name der Hippe. Weitere Töchter des Ch. sind Endeis (anderwärts Tochter des Skiron, Töpffer Att. Geneal. 273), die Mutter des Peleus, Philosteph. Kyr. frg. 35 = Schol. Il. II 14. XVI 14. Hyg. fab. 14, und Okyrrhoe, die Pflegerin des Asklepios. Ovid. met. II 635f.

4) Das Wesen des Ch. Ch. ist einer der Kentauren, er heisst διφυής, φήρ, ζαμενής, geminus, semifer, semivir, Apollod. I 9 W. Pind. Pyth. III 4. IV 119. IX 38. Ovid. met. II 630f.; fast. V 380. Aber er unterscheidet sich von den übrigen Kentauren durch seine Abstammung und seinem ganzen Wesen nach. Er ist der gerechteste, ja sogar der einzig gerechte aller Kentauren, Il. XI 832. Titanomachie frg. 6 K. Xen. cyneg. I 1. Hyg. astr. II 38. Erathosth. cat. 40. Orph. Arg. 377; er ist μάντις und weiss die Zukunft, Eur. I. A. 1064. Hor. epod. XIII 10f. Pind. Pyth. IX 52f., und wird auch geradezu als Gott bezeichnet, Aisch. Prom. 1027. Soph. Trach. 714. Als solcher ist er unsterblich, Apollod. II 85 W. In jedem Falle eignet ihm Güte und Milde, Frömmigkeit und tiefe Weisheit, Il. IV 219. Eur. I. A. 710. 929 (εὐσεβέστατος). Pind. Pyth. III 4. 5. 53. 63 (εὐρυμέδων, βαθυμῆτα, σώφρων). Plat. rep. III 391 C; Hipp. min. 371 D. Spätern gilt er geradezu als Philosoph, Hermippos bei Clem. Al. strom. I p. 132 Sylb. Antisthenes, Plut. de E apud Delphos 6. Ioann. Antioch. frg. 6 u. a. Als Erzieher und Freund einer grossen Zahl griechischer Heroen, sowie als Kronide, wird er als Greis bezeichnet. Nonn. Dion. XXXV 61 (γηραλέος φερέσβιος). XLVIII 41. Theokr. XIII 150 (γέρων). Lucan. VI 393. Sen. Thyest. 861. Stat. Ach. I 106 (senex longaevus), vgl. Philostr. her. p. 176 K.

Seine Zöglinge unterrichtet er in allem, was er selbst als Meister treibt und was Helden wohl ansteht, so hauptsächlich in der Heilkunst, die er selber an Peleus und Phoinix (s. u.) ausübt, die er von Zeus empfangen hat (Orph. lith. praef. 11f.) oder als deren Erfinder er gilt. Hyg. fab. 138. 274. Eustath. Il. 763, 15. Schol. Il. IV 219. Suid. Pind. Pyth. III 65. Philostr. a. O. Orph. Arg. 379. Plut. quaest. conv. VIII 2. Eine Reihe von Heilpflanzen sind von Ch. entdeckt , und nach ihm benannt (Χιρώνειον, Κενταύρειον) Theophr. hist. plant. IX 11, 1. Dikaiarch. frg. 60. Plin. n. h. XXV 13. 14. 16. 19. 30. Dioskor. [2304] III 57. Χειρωνὶς βίβλος, ein medicinisches Buch, Anth. Pal. VII 158, 9. Epigr. adesp. 579. Die Kunst der Jagd wurde ihm von Apollo und Artemis verliehen (Xen. cyneg. I 1f.), und nicht weniger lieb als Jagen, Reiten und Führung der Waffen ist ihm das Spiel der Leier, als deren Erfinder er galt. Eustath. Il. 463, 33. Ch. als Leierspieler Stat. silv. V 3, 191; Ach. I 18. Ovid. fast. V 386. Plut. Per. 4. Val. Flacc. I 139. Orph. Arg. 401f. Philostr. her. 197 K. Sen. Troad. 832f. Sil. It. XI 452f. Die Komödie kennt Ch. als Jugenderzieher, insbesondere als Vertreter der ‚klassischen‘ Musik. Kratinos Χείρωνες. Platon com. frg. 191 K. Pherekrates Χείρων. Kratinos min. Χείρων. Er lehrt Gerechtigkeit und einfachen Sinn, und Ehrfurcht vor Zeus und den Eltern. Χείρωνος ὑποθῆκαι, Unterweisung des Ch. an Achilleus, ein Epos unter Hesiods Namen, Kinkel Frg. epic 148f. Wahrscheinlich hierauf bezieht sich die Inschrift Χιρώνεια auf einer Bücherkiste auf dem streng rf. Napf aus der Werkstatt des Euphronios, Furtwängler Vasenkatalog Berlin 2322.

5) Schützlinge und Schüler des Ch. a) Achilleus (s. Bd. I S. 225. 242). Peleus bringt seinen von Thetis verlassenen Sohn zu Ch. Wahrscheinlich war dies zuerst in den hesiodischen Katalogen erzählt, Robert Bild und Lied 124. Homer erwähnt nur den Unterricht in der Heilkunde, Il. XI 831 und Schol., vgl. Schol. Arat. 436. Plut. quaest. conv. V 2. Schol. Demosth. XVIII 72. b) Aktaion, Sohn des Aristaios, wird von Ch. auferzogen und lernt bei ihm die Jagd. Er wird von den eigenen Hunden zerrissen. Wie sie nachher ihren Herrn suchend zur Höhle des Ch. kommen, macht der Kentaur ein Bild des Aktaion, um sie zu beruhigen. Apollod. III 30f. W. c) Alkon lernt mit Asklepios zusammen bei Ch. die ärztliche Kunst. Anonymus in vita Soph. d) Apollon, Schüler des Ch. Iust. Mart. de monarch. 6. Ch. scheint zu Delphoi besondere Beziehungen gehabt zu haben; vgl. e und f und die Erwähnungen Pindars in den pythischen Oden. e) Aristaios. Ch. weissagt dem Apollon die Zukunft des Sohnes, den ihm Kyrene gebären werde. Pind. Pyth. IX 29 (nach der hesiod. Eoie, Schol. zu v. 6). Den kleinen Aristaios bringt der Vater zu Ch. Apoll. Rhod. II 509f. (wahrscheinlich auch dies nach Hesiod, Studniczka Kyrene 40f.); vgl. 3. f) Asklepios wird von seinem Vater Apollon, als die Leiche der Koronis auf dem Scheiterhaufen liegt, aus dem Mutterleibe genommen und zu Ch. gebracht, wo er die ärztliche Kunst und die Jagd lernt, Il. IV 219, (wahrscheinlich schon in der hesiodischen Eoie, v. Wilamowitz Isyll 59. 63. Pind. Pyth. III 33f. und Schol.; Nem. III 54. Apollod. III 119 W. Nikand. ther. 438f. Philostr. her. p. 176 K. Cornut. theol. 33 fin. Dionys. Rhod. frg. 6 (Schol. Pind. Pyth. I 109). Ovid. met. II 628f. Der Argiver Sokrates (Schol. Pind. Pyth. III 102) erzählt, dass Asklepios später seinen eigenen Lehrer Ch. geheilt habe; offenbar von der durch den Pfeil des Herakles verursachten Wunde. Diese Scene (die zu Grunde liegende dichterische Bearbeitung kennen wir nicht) ist dargestellt auf dem pompeianischen Wandgemälde Helbig 202, und die gleiche Sage wird auch der [2305] Phlyakendarstellung Baumeister Denkm. II 903 zu Grunde liegen. Heydemann Arch. Jahrb. I 1886, 287. g) Dionysos, der Geliebte des Ch., soll von ihm seine Feiern und Weihen gelernt haben. Ptol. Heph. IV. h) Herakles wird von Hermes dem Ch. zur Erziehung gebracht: α) sf. Amphora aus Volci, Κlügmann Arch. Ztg. XXXV 1876, 199 Taf. 17. Usener a. O. Schol. Theokr. XIII 9. Plut. de mus 40. Häufiger ist die Erzählung, dass Ch. durch einen Pfeil des Herakles verwundet wird: β) Ch., von den Lapithen vom Pelion vertrieben, wohnt auf dem Vorgebirge Malea; nach der Schlacht auf der Pholoe fliehen die Kentauren zu ihm, wobei Herakles unabsichtlich den Ch. mit dem Pfeile trifft. Apollod. II 85 W. Diod. IV 12, 8. Tzetz. Lyk. 670; chil. V 124f. Da die Wunde unheilbar ist (Soph. Trach. 714f. Χειρώνειον ἕλκος Eustath. Il. 463, 33. Suid.), bietet er sich Zeus an, statt des Prometheus zu sterben. Apollod. II 119 W. Robert 16. Hall. Winck.-Progr. 1892, 67. Preller-Robert Griech. Myth. 100ff. Aisch. Prom. 1026f. Ch. und Pholos zusammen nehmen den Herakles auf, Theokr. VII 149f. γ) Wie Herakles und Ch. friedlich in der Höhle beisammen sitzen, fällt ein Pfeil aus dem Köcher, oder Ch. lässt einen der Pfeile fallen und verwundet sich den Fuss. Zum Lohn für seine Gerechtigkeit und damit er nicht an unheilbarer Wunde dahinsieche, wird er von den Göttern als ‚Kentauros‘ oder Sagittarius unter die Sterne versetzt. Dies ist die jüngere, durch die Aratcommentare überlieferte Version, ein Gegenstück zur Hadesfahrt des Ch. Eratosth. cat. 40. Schol. Arat. 436. Hyg. astr. II 18. 38. Ovid. fast. V 379f. Schol. Germ. B p. 99; G p. 178 Breys. Sen. Thyest. 860f. Lucan. VI 393f.; vgl. Paus. V 19, 9. Vielleicht ist das Motiv des fallenden Pfeiles in der Ch.-Sage secundär und von Pholos her übertragen, vgl. Apollod. II 86 W. Robert Arch. Jahrb. V 1890, 230f. Taf. IV. Mannhardt a. O. 44. Ausser der Verstirnung des Ch. und der Heilung durch Asklepios (s. o.) wird noch erwähnt, dass sich Ch. im Anigros badete, Paus. V 9, 10, oder eine Heilpflanze anwendete, Plin. n. h. XXV 66, oder an der Wunde starb. Diod. und Tzetz. a. O. δ) An α anschliessend und mit β wahrscheinlich für die Ausbildung von γ massgebend geworden, ist die durch den Herakles des Antisthenes vertretene Version, wonach Herakles aus Liebe zu Achilleus in die Höhle des Ch. kommt. Eratosth. cat. 40, vgl. Philostr. her. p. 176 K. Mosaik von Portus Magnus, Robert a. O. R. de la Blanchère Musée d’Oran Taf. II–VI p. 40f. Kaibel Herm. XXV 1890, 586f. Dümmler Philologus L 1891, 228f. Nach Stat. Ach. I 156 sah Ch. den Herakles zuerst auf der Argo. i) Iason, der Held von Iolkos, wurde von seinen Eltern als Kind zu Ch. gebracht und von diesem auferzogen und in der Heilkunde unterrichtet (daher der Name Iason). Wie er die väterliche Herrschaft übernehmen will, heisst ihn Pelias zuvor das goldene Vliess aus Kolchis holen. Ch. giebt ihm guten Rat zur Fahrt. Hes. cat. frg. 38 K. Pind. Pyth. IV 102f. und Schol.; Nem. III 54. Asklepiades frg. 3, FHG III 302 = Schol. Od. XII 69. Hypoth. Ap. Rhod. p. 532f. Keil. Apoll. Rhod. I 32f. Schol. Apoll. Rhod. I 32. 554. Tzetz. chil. VI 984f. k) Kokytos [2306] soll von Ch. die ärztliche Kunst gelernt haben, Ptol. Heph. I. l) Machaon und Podaleirios sind nach Xen. cyneg. I 2 Schüler des Ch., vgl. Ael. Aristid. VII 42. m) Medeios Sohn des Iason, von Ch. erzogen, Hes. theog. 1001. n) Melampus, Sohn des Amythaon, lernt von Ch. die ärztliche Kunst (Tierheilkunde). Columella X 349. Vergil. georg. III 550. Suid. o) Patroklos flieht wegen einer Blutschuld zu Peleus, der ihn an Ch. weist. Ch. erzieht ihn mit Achilleus zusammen. Philosteph. Kyr. frg. 35 = Schol. Il. II 14. XIV 14. Oder der Vater Menoitios bringt ihn zu Ch., Val. Flacc. I 407f.; vgl. Stat. Ach. I 174f. p) Peleus, ,der Mann vom Pelion‘ nach späterer Sage ein Enkel des Ch. (s. o. S. 2302f.), wurde von Akastos, bei dem ihn dessen Weib verleumdet hatte, zur Jagd auf wilde Tiere in die Wälder des Pelion geschickt. Ch. (oder Hermes) geben ihm ein Schwert, das Hephaistos gearbeitet hat. Wie Peleus zurückkehrt, lachen ihn die Höflinge des Akastos aus, dass er keine Beute habe; er aber zeigt ihnen die abgeschnittenen Zungen der Tiere. Später sinkt er auf dem Pelion in Schlaf; Akastos versteckt das Schwert unter einen Kuhfladen, die Kentauren überfallen den Schlafenden, aber Ch. rettet ihn und verhilft ihm wieder zu seinem Schwert. Hes. cat. frg. 35 K. Pind. Nem. IV 54f. und Schol. Apoll. Rhod. I 224. Apollod. III 165f. W., vgl. Nikand. het. frg. 42. Glänzend und durchaus überzeugend ist die Reconstruction der alten Sage durch Mannhardt a. O. 58, wonach Peleus ursprünglich von den neidischen Höflingen im Schlafe getötet, dann aber von Ch. wieder ins Leben zurückgerufen wurde. Wahrscheinlich ist dies die Sage, die Ch. selbst den Namen gab, ihn zum δικαιότατος Κενταύρων machte und aus der Schar der Kentauren heraushob. Nach Philosteph. Kyr. a. O. floh Peleus zu Ch., nachdem er seinen Stiefbruder Phokos getötet hatte. Beide Versionen vereinigt Schol. Ar. Nub. 1063. Mit dem Rat und der Hülfe der Ch. gewinnt Peleus das Meermädchen Thetis. Die Hochzeit im Beisein der Götter wird in der Höhle des Ch. gefeiert. Ch. giebt dem Peleus als Hochzeitsgeschenk eine eschene Lanze. Apollod. III 170 W. Pind. Nem. III 56. Pherekydes (? Schol. Pind. Nem. IV 81). Sophokles frg. 155. 556. Quint. Sm. I 593. Tzetz. Lyk. 178. Graef Arch. Jahrb. I 1886, 196f. Dieser volkstümlichen Version steht die epische gegenüber, wonach Ch. nach Auftrag und Willen der Götter die Ehe stiftet. Erst bei Ovid sind beide Fassungen vermischt, Il. XVI 140f. Kl. Il. frg. 5 K. Kypr. frg. 2 K. Pind. Isthm. VII 42f. Schol.; Pyth. III 90 (168). Eur. I. A. 701f. 1036f. Xen. cyneg. I 8. Apollod. a. O. Quint. Sm. IV 131f. Schol. Apoll. Rhod. IV 816. Coluth. rapt. Hel. 26f. Claudian. IX 1f. Wie Peleus mit den Argonauten absegelt, zeigt ihm Ch. vom Ufer aus den kleinen Achill. Apoll. Rhod. I 553f. Val. Flacc. I 255f. Orph. Arg. 376f. q) Phoinix, von seinem Vater geblendet, flieht zu Peleus, der ihn zu Ch. führt. Dieser giebt ihm das verlorene Augenlicht wieder. Phoinix wird hierauf König der Doloper (Dolops Bruder des Ch., s. o.). Apollod. III 175 W. (giebt wahrscheinlich den Inhalt der euripideischen Tragoedie Phoinix). Schol. Plat leg. 931 B. Tzetz. Lyk. 421. Prop. II 1, 60. [2307] r) Podaleirios s. Machaon. s) Teiresias, der Weissagekunst beraubt, erhält sie durch Ch. zurück. Sostratos bei Eustath. Od. 1665, 48f. Wagner Herm. XXVII 1892, 131f. t) Die Jagd und das Kriegshandwerk erlernten von Ch., nach Xen. cyneg. I 1f. und Philostr. p. 176 K.: die Genossen des Peleus und Iason bei der kalydonischen Jagd: Amphiaraos, Kastor, Meleagros, Nestor, Polydeukes, Telamon, Theseus (Stat. Ach. I 157); ferner andere berühmte Jäger wie Hippolytos, Kephalos, Meilanion; und die Genossen des Achilleus vor Troia: Aias (Aineias), Antilochos, Diomedes, Menestheus, Odysseus, Palamedes, Protesilaos.

Die Bedeutung des Ch., einerseits als Arzt und hülfreicher Freund, andererseits als Erzieher und Lehrer ritterlicher Kunst, liegt in seinem Verhältnis zu Peleus und dessen Sohne Achilleus begründet. Daraus erklärt sich nach der einen Richtung die Beziehung zu Iason-Medeios, Asklepios u. a., nach der andern seine Stellung als Erzieher so vieler Helden. Seine Verbindung mit Herakles (β–δ) bedeutet eine spätere Wiederanknüpfung an die Kentaurenmythen, von denen er schon früh losgelöst war (vgl. dagegen Usener a. O.). Ganz spät ist die Vorstellung von Ch. als Führer der Kentauren, Hom. κάμινος ἢ κεραμεῖς 15f., oder gar Nonn. Dionys. XIV 49f.

6) Ch. in der Kunst. Ch. wird in der Kunst wie die andern Kentauren dargestellt, als rüstiger Jäger, der an einem Baumstamm über der Schulter die Beute heimträgt. Doch unterscheidet er sich von seinen Genossen sehr häufig durch eine edlere Bildung, er ist ἀνθρώπῳ ὅμοιος (Philostr. her. p. 176 K.). Dahin gehört es, wenn der Typus der Kentauren mit menschlichem Leib, bezw. menschlichen Vorderfüssen, mit Vorliebe für Ch. verwendet wurde. Klügmann Bull. d. Inst. 1876, 140f. Puchstein Arch. Ztg. XXXIX 1881, 243. Benndorf Griech. und sic. V.-B. 86. Ch. ist ausschliesslich in mythologischen Gruppierungen dargestellt worden, die wenigen Einzeldarstellungen gehen auf Gruppen zurück. Der Kentaur, dessen Rücken von einem Pfeil durchbohrt ist, auf dem geschnittenen Stein mit der Beischrift Χι(ρων) Arch. Jahrb. I 1886, 127, erinnert an die Abenteuer mit Herakles (5 h); der leierspielende Ch. auf Bronzemünzen des Prusias II. von Bithynien (Brit. Mus. Cat. of Greek Coins, Pontus etc. p. 210f., nr. 8–17) an seine Beziehungen zu Achilleus, mit dem er auf einer Münze von Alexandreia gruppiert ist. Imhoof-Blumer und Otto Keller Tier- und Pflanzenbilder 69.

Eine Reihe von Vasen zeigt Ch. als Zuschauer beim Ringkampfe des Peleus und der Thetis. Schneider Der troische Sagenkreis 78f. Graef Arch. Jahrb. I 1886, 201f., dazu Röm. Mitt. VII 1892, 184. Die Hochzeit des Peleus war auf dem Kypseloskasten dargestellt. Paus. V 19, 7f. Löschcke Progr. Dorpat 1880, 5f. Klein S.-Ber. Akad. Wien 1884, 64f. Schneider a. O. 88f. Wir sehen sie ferner auf der Françoisvase, auf der Vase des Sophilos, Studniczka Eranos Vindob. 233f. Wiener Vorlegebl. 1889 Taf. 2. 3, und auf dem sf. Gefäss Overbeck Her. Gall. 46, Taf. VIII 6. Val. Flacc. I 139. Wahrscheinlich in denselben Kreis gehört das Vasenbild Furtwängler Vas.-Kat. Berlin 1900. [2308]

Häufig sind die Darstellungen der Überbringung des kleinen Achilleus an Ch. Ausser der Bd. I S. 242f. angeführten Litteratur vgl. Heydemann Vasensammlg. Neapel S. A. 160. Furtwängler a. O. 1901. Walters Journ. of Hell. Stud. XIII 1892/3, 84f. (Brit. Mus. Cat. B 77), desgleichen finden wir häufig den Unterricht bei Ch. Eine eigentümliche Stellung nimmt das Bild der streng rf. Vase Furtwängler a. O. 4220, ein Besuch der Thetis bei Ch. und Achilleus, ein, vgl. Bd. I S. 226, 52ff. Ch. den Achill im Kitharspiel unterrichtend, war der Vorwurf einer statuarischen Gruppe in den Saepta zu Rom, Plin. n. h. XXXVI 29. Auf sie gehen zurück die pompeianischen Wandgemälde Helbig 1291f. und eine Reihe statuarischer Repliken, Kroker Ann. d. Inst. 1884, 50f. tav. d’agg. G. Helbig öffentl. Sammlungen Roms I 567.

Über Ch. mit Asklepios und Apollon s. oben S. 2304.

[Escher. ]