ADB:Weber, Wilhelm (Physiker)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Weber, Wilhelm“ von Robert Knott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 358–361, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Weber,_Wilhelm_(Physiker)&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 11:21 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 41 (1896), S. 358–361 (Quelle).
Wilhelm Eduard Weber bei Wikisource
Wilhelm Eduard Weber in der Wikipedia
Wilhelm Eduard Weber in Wikidata
GND-Nummer 11862976X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|41|358|361|Weber, Wilhelm|Robert Knott|ADB:Weber, Wilhelm (Physiker)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11862976X}}    

Weber: Wilhelm Eduard W., geboren am 24. October 1804 in Wittenberg als Sohn des dortigen Professors der Theologie Michael W. (s. o. S. 352). Er war das fünfte unter sieben heranwachsenden Geschwistern. Aus den ersten Jugendjahren Wilhelm’s ist nur wenig bekannt. Als man sich im J. 1813 nach den Niederlagen des Napoleonischen Heeres an der Katzbach, bei Groß-Beeren und Dennewitz überall in deutschen Landen regte, um die Franzosen aus den von ihnen besetzten festen Punkten zu vertreiben, zog Bülow gegen die Festung Wittenberg, um sie von den Franzosen zu befreien. Da die Uebergabe verweigert wurde, wurde die Stadt am 27. September 1813 heftig beschossen, wobei ein großer Theil derselben in Flammen aufging. Auch das Haus, in dem die Familie W. wohnte, – es gehörte einem Prof. Dr. med. Langguth – wurde von den Flammen ergriffen; die Familie rettete nur das nackte Leben. Infolge jenes Unglücks zog Professor W. aus der belagerten Festung hinweg zunächst nach dem nahe gelegenen Schmiedeberg, wo er bis Michaelis 1814 wohnen blieb, um dann nach vollständiger Aufhebung der Universität seinen Wohnsitz in Halle zu nehmen. Hier besuchte Wilhelm die Unterrichtsanstalten des Waisenhauses; Ostern 1822 wurde er als stud. math. an der Universität Halle immatriculirt. Mit seinem um 10 Jahre älteren Bruder Ernst Heinrich, der bereits Professor in Leipzig war, hatte Wilhelm noch während seiner Schulzeit Versuche über Wellenbewegung angestellt; Ernst hatte es sogar durchgesetzt, daß Wilhelm zu diesem Zwecke auf längere Zeit vom Schulbesuch gänzlich [359] dispensirt wurde. Die Resultate ihrer gemeinschaftlichen Untersuchungen veröffentlichten die Brüder 1825 unter dem Titel „Wellenlehre auf Experimente gegründet“. 1826 promovirte W. zum Doctor mit der Dissertation: „Theoriam efficaciae laminarum maxime mobilium arcteque tubas aërem sonantem etc. continens“, und im folgenden Jahre habilitirte er sich in Halle als Privatdocent, nachdem ihm der Cultusminister seine Bitte um pecuniäre Unterstützung behufs eines einjährigen Aufenthalts in Göttingen, wo er Gauß hören wollte, sowie zu einer Reise nach Paris, wo damals die mathematisch-physikalische Disciplin besonders glänzend vertreten war, abgeschlagen hatte. Im Juli 1828 wurde ihm die erste auswärtige Ehrenbezeugung durch die Ernennung zum correspondirenden Mitglied de l’académie royale des sciences de Turin zu Theil und im Herbst desselben Jahres wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Im September besuchte er die in Berlin tagende Naturforscherversammlung, auf der er durch einen wohlgeordneten und gutgehaltenen Vortrag über die „Compensation der Orgelpfeifen in bezug auf die Stärke der Töne“ (Pogg. Ann. Bd. 14, 1828) die Aufmerksamkeit Alexander v. Humboldt’s und Gauß’ auf sich zog. Nur für eine kurze Zeit kehrte er nach Halle zurück; am 17. October 1828 reiste er bereits wieder nach Berlin zu einem längeren Aufenthalte, während dessen er eine Fülle geistiger Anregungen erhielt, sowol durch den intimen Verkehr mit einer größeren Anzahl nahezu gleichaltriger Fachgenossen, wie Dirichlet, Dove, Magnus, Wöhler und auch älterer, meist schon in Amt und Würden stehender Persönlichkeiten wie Mitscherlich, Heinrich und Gustav Rose, Poggendorff, Enke, Seebeck, Steiner, Weiß, Ehrenberg, Ermann, Crelle u. a., als auch dadurch, daß sich ihm Alexander und selbst Wilhelm v. Humboldt’s Haus erschloß. Am 22. Januar 1829 begab sich W. von Berlin nach Hamburg-Altona, um dort Repsold und Schumacher aufzusuchen; von dort reiste er nach Halle zurück, wo er bis zu seiner Berufung als ordentlicher Professor nach Göttingen 1831 blieb; es war ihm vornehmlich auf die Empfehlung von Gauß die durch den Tod von Tobias Mayer erledigte Professur für Physik übertragen worden.

In Göttingen richtete er zunächst das physikalische Cabinet neu ein; außerdem beschäftigten ihn die neu übernommenen Experimentalvorlesungen; endlich lag es auch in seiner Absicht, das Handbuch für Physik von Tobias Mayer neu herauszugeben, wozu er von buchhändlerischer Seite aufgefordert worden war. Diesen Plan führte er indessen nicht aus. Mit Gauß trat er von Anfang an in einen regen wissenschaftlichen, aber auch äußerst intim freundschaftlichen Verkehr. Gauß beschäftigte sich damals gerade mit magnetischen Untersuchungen; sofort nahm W. an ihnen theil; die Beobachtungsapparate waren z. Th. in der Sternwarte, z. Th. im physikalischen Cabinet aufgestellt. Beide Gebäude waren etwa ¼ Stunde von einander entfernt; für gewisse Untersuchungen war es wünschenswerth gleichzeitig an beiden Orten Beobachtungen anzustellen. Zur gegenseitigen Verständigung wurden zunächst Boten benutzt; das führte aber zu mancherlei Unzuträglichkeiten; aus dem Wunsche diesen abzuhelfen ging im J. 1833 die erste größere Telegraphenanlage hervor, bei welcher galvanische Ströme die Zeichen übermittelten. Außer mit den Untersuchungen über Magnetismus finden wir W. in den Jahren 1833–36 in Gemeinschaft mit seinem jüngeren Bruder Eduard mit physikalisch-physiologischen Versuchen beschäftigt, deren Resultate in der „Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge“, Göttingen 1836, niedergelegt sind.

Am 20. Juni 1837 bestieg Ernst August, der Sohn Wilhelm’s IV., als König von Hannover den Thron. Mit Mühe hatten die Hannoveraner im J. 1833 die Publication eines neuen Landesgrundgesetzes sich erkämpft, durch welches die Constitution von 1819 aufgehoben wurde. Da erklärte schon am 5. Juli 1837 Ernst August durch Patent, daß er das Staatsgrundgesetz vom Jahre 1833 nicht [360] zu Recht bestehend ansehen könne, und daß die alte ständige Verfassung von 1819 wieder einzuführen sei. Am 30. October 1837 wurde die Ständeversammlung aufgelöst; die „königlichen Diener“ wurden ihres Eides auf das Staatsgrundgesetz vom Jahre 1833 für entbunden erklärt und am 1. November mittelst Patentes zur Einsendung von Dienst- und Huldigungsreversen unter Anerkennung der alten Verfassung von 1819 aufgefordert. Darauf richteten sieben Göttinger Professoren: Albrecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Jakob und Wilhelm Grimm und W. am 18. November eine gemeinschaftliche, von Dahlmann verfaßte Eingabe an das Universitätscuratorium, in der sie erklärten, durch ihren Eid auf das Staatsgrundgesetz von 1833 verpflichtet zu sein und weder eine nach anderen Grundsätzen erwählte Ständeversammlung als zu Recht bestehend anerkennen, noch den geforderten Huldigungseid leisten zu können. Die Folge war, daß am 14. December 1837 die „Sieben“ mittelst Cabinetsordre ihres Amtes entsetzt, Dahlmann, Jakob Grimm und Gervinus sogar des Landes verwiesen wurden. Ueberall zeigte sich die regste Antheilnahme an dem Geschick der hochherzigen Männer; Sammlungen wurden veranstaltet, die bis zum December 1842 die Summe von 22 357 Rthlr. ergaben. So wurde es W. möglich zunächst als Privatmann in Göttingen zu bleiben. Gauß bemühte sich sehr um seine Rehabilitirung; er wandte sich dieserhalben u. a. an Alexander v. Humboldt. Indessen scheiterten alle in diesem Sinne unternommenen Versuche an der Charakterfestigkeit Weber’s. Seinen Lehrstuhl nahm in der Folge Listing ein. Wie bedrückend die Verhältnisse für W. in wissenschaftlicher Beziehung in Göttingen wurden, zeigt u. a. die Thatsache, daß er sich außer Stande sah zu einer Untersuchung 8000 m besponnenen Kupferdraht sich anzuschaffen. Auf den Rath Dirichlet’s wandte er sich dieserhalben an die physikalische Classe der Berliner Akademie, die ihm den Draht leihweise überließ. Was ihn an Göttingen fesselte, war einzig und allein der Wunsch, in der Nähe von Gauß zu bleiben. Dies veranlaßte ihn noch im J. 1841 die ihm angebotene Directorstelle an der technischen Lehranstalt in Dresden abzulehnen. Indessen drückte ihn doch andrerseits der dauernde Bezug der Geldunterstützungen; dies war schließlich mit ein Grund, weswegen er 1842 die ihm angebotene Professur für Physik an der Universität Leipzig annahm; auch fand er hier einen Ersatz für den Umgang mit Gauß durch das Zusammenleben mit den ihm so eng verbundenen Brüdern Ernst Heinrich und Eduard.

Ostern 1843 trat W. seine neue Stellung in Leipzig an. Magnetische Untersuchungen bildeten zunächst den Hauptgegenstand seiner Beschäftigung; so sorgte er für den Bau eines isolirten, eisenfreien, magnetischen Observatoriums; indessen traten die Arbeiten auf dem Gebiete alsbald doch in den Hintergrund, um so mehr, als auch Gauß sich nach Weber’s Fortgang aus Göttingen diesem Gebiete abwandte. W. widmete sich in der Folge elektro-dynamischen Arbeiten. Die Früchte dieser Forschungen bilden sieben unter dem Titel „Elektrodynamische Maaßbestimmungen“ herausgegebene Abhandlungen, deren erste das berühmte „Allgemeine Grundgesetz der elektrischen Wirkung“ enthält.

Das politisch so bedeutsame Jahr 1848 war herangekommen und übte wie auf das deutsche Volk, so auch auf die Regierungen seinen Einfluß aus. In Hannover sah man den Schritt, den die sieben Professoren vor 10 Jahren in der Verfassungsfrage gethan hatten, mit anderen Augen an, und Ernst August fühlte sich bewogen, den Versuch zu machen, jene sieben, damals ihres Amtes entsetzten Professoren für Göttingen wieder zu gewinnen. Am 16. April 1848 wurde von Hannover aus bei W. angefragt, ob er eventuell wieder eine Professur in Göttingen annehmen würde. W. schwankte; auch rieth ihm mancher seiner Freunde ab. Indessen trug endlich seine Anhänglichkeit an Gauß den Sieg [361] davon. Nach verschiedenen Unterhandlungen erhielt W. am 16. October 1848 das officielle Berufungsschreiben. Ostern 1849 siedelte er wieder nach Göttingen über. Wenige Jahre darauf erwarb er mitten in der Stadt ein kleines, rings von Gärten umgebenes Haus; hier entstanden die Entwürfe zu seinen Arbeiten; die experimentellen Untersuchungen verschob er meist auf die Ferien. Von tief in seinen Lebensweg eingreifenden Wechselfällen blieb W. von nun an verschont, indessen mußte er bei dem hohen Alter, das er erreichte, viele seiner Freunde hinscheiden sehen. 1855 starb Gauß, 1859 der mit W. schon lange befreundete, und von ihm als Nachfolger von Gauß nach Göttingen gezogene Dirichlet. Auf Dirichlet’s Lehrstuhl wurde Riemann berufen; aber auch er wurde der Wissenschaft bereits 1866 entrissen, ihm folgte Clebsch; aber nur wenige Jahre vergingen, da machte ein Diphteritisanfall der Wirksamkeit auch dieses in den besten Jahren stehenden Mannes ein Ende. Um jene Zeit trat W. noch mit Zöllner in Leipzig in Beziehung.

Doch das Alter war gekommen, mit ihm die Zeit der Jubiläen. Am 24. October 1873 feierte er seinen 70. Geburtstag im engeren Kreise; größeren Ovationen, die seine Person betrafen, abhold, entzog er sich seiner officiellen Feier seines 50jährigen Doctorjubiläums am 26. August 1876 durch eine Reise nach Karlsbad. Ganz außerordentlich glanzvoll gestaltete sich indeß noch die Feier der 60. Wiederkehr des Jahrestages der Doctorpromotion 26. August 1886, bei welcher Gelegenheit er u. a. zum königlich preußischen wirklichen Geheimrath mit dem Titel Excellenz durch Seine Majestät den deutschen Kaiser ernannt wurde. Am 23. Juni 1891 starb er. Seine Werke (6 Bde., Berlin 1892–94) sind von der Göttinger Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften herausgegeben. Eine Würdigung derselben findet man im 38. Bande der Abhandlungen der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften in einer Rede über Wilhelm Weber von Eduard Riecke.

Vornehmlich nach: Wilhelm Weber. Eine Lebensskizze von Heinrich Weber, Professor an der Herzogl. technischen Hochschule zu Braunschweig. Breslau 1893.