ADB:Victor II.

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Artikel „Victor II.“ von Ernst Steindorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 670–673, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Victor_II.&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:35 Uhr UTC)
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Victor II., Papst (1055–1057), stammte aus Deutschland, hatte den Taufnamen Gebehard und war, ehe er zur höchsten kirchlichen Würde emporstieg, Bischof von Eichstädt, in beiden Stellungen einer der bedeutendsten Kirchenfürsten der älteren salischen Periode. Er war ein Zeitgenosse des im J. 1017 geborenen Kaiser Heinrich’s III., aber wahrscheinlich jünger als dieser. Gebehard’s Eltern hießen Hartwig und Beliza. Seine Heimath wird verschieden angegeben. Nach den Papstcatalogen ein Baier, erscheint er in deutschen Quellen als Schwabe. Diese Angaben lassen sich vereinigen, wenn man annimmt, daß eine spätere Eichstädter Ueberlieferung, der zufolge Gebehard ein Graf v. Hirschberg war, auf Wahrheit beruht. Denn dieses ursprünglich nach Kregling und Dollnstein benannte Grafengeschlecht war sowol im bairischen Nordgau als auch in den schwäbischen Theilen des Sprengels von Eichstädt begütert. Soviel ist gewiß: Gebehard gehörte zu einer vornehmen Familie. Mit Bischof Gebehard III. von Regensburg (1036–1066), einem Stiefbruder Kaiser Konrad’s II. war er verwandt und Heinrich III. erkannte ihn an als Seitenverwandten des königlichen Hauses, eine Auszeichnung, die Gebehard selbst nicht für berechtigt hielt, sondern bescheiden ablehnte. In den geistlichen Stand trat er frühzeitig ein und gegen Ende des Jahres 1042 begleitete er den Regensburger Bischof an den Hof, als es sich darum handelte das kürzlich erledigte Bisthum Eichstädt wieder zu besetzen. Gebehard von Regensburg wußte die Berathungen, an denen auch andere Bischöfe theilnahmen, nach seinem Willen zu lenken. Sein Candidat für Eichstädt war der junge Gebehard und unterstützt von dem würdigen Erzbischof Bardo von Mainz, setzte er die Wahl durch, obwohl der König an der Jugend des Vorgeschlagenen Anfangs Anstoß genommen hatte. Zu Goslar, wo der Hof Weihnachten feierte, empfing der neue Bischof von Eichstädt die Investitur. Das Bisthum befand sich in keiner glänzenden Lage. Unter Kaiser Heinrich II. hatte es einen Theil seines ursprünglichen Gebietes an Bamberg abtreten müssen ohne Ersatz dafür zu erhalten: Entschädigungsverhandlungen wurden bald nach der Thronbesteigung Heinrich’s III. geführt, zerschlugen sich aber, wie es heißt, durch die Schuld des Königs. So war Bischof Gebehard darauf angewiesen, mit geringen Mitteln zu wirthschaften: ohne die äußere Macht, über welche andere Prälaten verfügten, konnte er sich nur durch persönliche Tüchtigkeit [671] im Reiche und in der Kirche zur Geltung bringen. Das ist ihm gelungen mit steigendem Erfolge, je mehr er sich in dem Vertrauen des Herrschers, der ihn emporgehoben hatte, zu befestigen wußte.

Zunächst trat Gebehard aus der Menge seiner Standesgenossen nur wenig hervor. Mit anderen geistlichen und weltlichen Großen betheiligte er sich im J. 1046 an dem Römerzuge Heinrich’s III.; im J. 1048 war er zur Osterzeit am kaiserlichen Hof zu Regensburg; im October 1049 gehörte er zu den Beisitzern der großen Synode, die unter dem Vorsitz Papst Leo’s IX. und in Gegenwart des Kaisers zu Mainz verhandelte; ebenso wenig fehlte er bei den kirchlichen Feierlichkeiten und Verhandlungen, zu denen sich Kaiser und Papst nach dem ungarischen Feldzuge des Jahres 1052 in Regensburg und Bamberg vereinigten. Leo IX. rüstete damals zum Kriege gegen die Normannen, die in Unteritalien Eroberungen gemacht und auch Besitzungen der römischen Kirche angegriffen hatten; eifrig bemühte er sich um die Unterstützung des Kaisers und wenig fehlte, so wäre ihm ein kaiserliches Heer nach Italien gefolgt: das Aufgebot war schon unterwegs. Da änderte der Kaiser seinen Entschluß: bewogen durch dringende Vorstellungen Gebehard’s von Eichstädt rief er sein Heer zurück. Ein sehr merkwürdiger aber gut beglaubigter Vorgang, die erste Wendung zu der hervorragenden und einflußreichen Stellung, die Gebehard fortan im Mittelpunkte der Reichspolitik einnehmen sollte. Sein Emporkommen bezeugen auch werthvolle kaiserliche Gnadenacte für die Kirche von Eichstädt aus dem Jahre 1053. Bald darauf machte der Kaiser Gebehard zum Regenten von Baiern, nachdem er den bisherigen Herzog abgesetzt und das Herzogthum seinem Erstgeborenen, König Heinrich IV., übertragen hatte. Der neue Herzog war ein dreijähriges Kind und nur durch einen Vertreter, wie er dem Kaisersohn in der Person Gebehard’s zur Seite stand, konnte die herzogliche Regierung unter den damaligen besonders schwierigen Verhältnissen weiter geführt werden. Klug und kräftig waltete Gebehard in Baiern. Hatte der abgesetzte Herzog durch ungerechte Richtersprüche und durch allerlei Gewaltthätigkeiten große Unzufriedenheit hervorgerufen, so stand jener in dem Rufe eines ausgezeichneten, ungewöhnlich rechtskundigen und rasch urtheilenden Richters und wenn es galt, den Landfrieden aufrecht zu halten, so scheute er nicht den Kampf mit mächtigen Gegnern. Später ward ihm besonders zum Ruhm angerechnet, daß er die Grafen von Scheiern wegen ihrer Räubereien angegriffen und empfindlich bestraft hatte. Während des Jahres 1054 wechselte das Herzogthum seinen Inhaber: an die Stelle Heinrich’s IV. trat dessen jüngerer, im J. 1052 geborener Bruder Konrad, also wieder ein unmündiges Kind. Gebehard’s Dienste waren nach wie vor unentbehrlich und mit dem Hofe war er enger als je verbunden: es hat sich die Ueberlieferung erhalten, er sei Leiter des kaiserlichen Haushaltes (imperatoris economus) gewesen. Dennoch ging seine bairische Regentschaft bald zu Ende: er legte sie nieder, um noch höher zu steigen.

Den Anlaß dazu gab die Erledigung des päpstlichen Stuhles durch den Tod Leo’s IX.(† am 19. April 1054). Wegen der Neubesetzung wandten sich die Römer an den Kaiser; wie schwierig es war, einen Nachfolger zu finden, zeigt die lange Dauer des Wahlgeschäftes, zu dem sich nicht nur eine römische Gesandtschaft, sondern auch Hildebrand, damals Subdiacon der römischen Kirche und beim Tode Leo’s IX. päpstlicher Legat in Frankreich, am Hofe einfand. Endlich im September 1054 auf einem Reichstage zu Mainz, ergriffen die Römer, Hildebrand an der Spitze, die Initiative zur Wahl Gebehard’s von Eichstädt. Ihr Vorschlag fand Beifall, auch der Kaiser stimmte zu, aber Gebehard selbst widerstrebte und zwar so ernstlich, daß fast ein halbes Jahr verging, bis er seinen Widerspruch aufgab. In der Zwischenzeit soll er wiederholt und [672] auf jede Weise, offen und heimlich, versucht haben, den Römern seine Candidatur zu verleiden, indes ohne Erfolg. So gab er denn nach: Anfang März auf einem Reichstage zu Regensburg erklärte er sich zur Annahme der Wahl bereit, gehorsam den Befehlen des Kaisers, aber auch durchdrungen von dem Bewußtsein, daß er als Papst keinen weltlichen Herrn über sich habe. In diesem Sinne schloß er mit dem Kaiser einen Vertrag, der ihn berechtigte, die Rückgabe abhanden gekommenen Kirchengutes zu verlangen, auch wenn es sich in kaiserlichem Besitz befand. Das Bisthum Eichstädt verblieb ihm. In Rom erlangte er die Anerkennung aller zur Papstwahl berechtigten Classen der Bevölkerung: von den Cardinälen inthronisirt und am 13. April 1055 consecrirt, nannte er sich als Papst fortan Victor II. Er war entschlossen, die kirchlichen Reformbestrebungen seines Vorgängers fortzusetzen: das bekundete er u. A. dadurch, daß er gleichgesinnte Cardinäle, wie den Subdiacon Hildebrand und den Bischof Humbert von Silva-Candida, vorzugsweise zu den Geschäften heranzog. In politischer Hinsicht vorsichtiger als Leo IX., nahm V. II. vollkommenes Einverständniß mit dem Kaiser zur Richtschnur seines Handelns und anstatt die universalen Tendenzen der kaiserlichen Politik durch selbständige Unternehmungen zu durchkreuzen, war er dem Kaiser vielmehr behülflich, dessen Herrschaft überall, wo sie durch das Emporkommen feindlicher Gewalten gefährdet ward, neu zu befestigen.

Im Frühjahr 1055 zog Heinrich III. nach Italien, vornehmlich zur Bekämpfung des Widerstandes, zu dem sich das alte und mächtige Fürstenhaus von Canossa mit dem rebellischen Gottfried von Lothringen vereinigt hatte. Der Papst kam ihm entgegen und zu Florenz, einer Hauptstadt des feindlichen Gebietes, hielten sie um Pfingsten eine große, von 120 Bischöfen besuchte Synode, deren allgemeine Beschlüsse sich gegen Simonie und Priesterehe richteten. Der politische Kampf war schon vorher zu Gunsten des Kaisers entschieden: Gottfried hatte sich nach Lothringen geflüchtet; seine Gemahlin, die Markgräfin Beatrix von Tuscien, und ihre Tochter Mathilde nahm der Kaiser gefangen. Der Papst hat in diese Verhältnisse schwerlich direct eingegriffen, aber indirect leistete er der neuen Ordnung der Dinge bedeutend Vorschub. Er trat in den Reichsdienst, indem er sich von dem Kaiser mit dem Herzogthum Spoleto und mit der Markgrafschaft Fermo belehnen ließ; in diesen Gebieten fungirte er als kaiserlicher Statthalter, unbeschadet der eigenen Rechte, die ihm als Papst dort zustanden. Entsprechend dieser engsten Verbindung mit dem Kaiser behandelte V. II. auch die unteritalienischen Angelegenheiten. Als die Mönche von Montecassino auf eigene Hand einen Abt gewählt hatten, tadelte er ihr Vorgehen und fand darin eine Mißachtung nicht nur seiner selbst, sondern auch der kaiserlichen Autorität. Im Hochsommer 1056 begab er sich nach Deutschland, um den Kaiser zur Vertreibung der Normannen zu bewegen und am Hofe von Goslar, wo er am 8. September eintraf, fand er die beste Aufnahme. Aber die politischen Zwecke dieser Reise traten ganz in den Hintergrund vor dem verhängnißvollen Ereigniß, welches der Papst damals erlebte. Er wurde Zeuge, wie Kaiser Heinrich III. zu Bodfeld im Harz schwer erkrankte und am 6. October verschied. Zu den letzten Handlungen des Sterbenden gehörte, daß er seinem Sohne Heinrich IV. durch einen Wahlact der anwesenden Fürsten die Nachfolge sicherte und ihn, den Unmündigen, der Fürsorge Aller, besonders aber dem Schutze des Papstes empfahl.

Dieser Aufgabe hat sich V. II. hingebend und erfolgreich unterzogen, zunächst in Gemeinschaft mit der Kaiserin-Wittwe Agnes, als der Vormünderin ihres Sohnes und als der von den Fürsten anerkannten Reichsverweserin. Er geleitete die Leiche des Kaisers zur Bestattung nach Speier, dann vollzog er in [673] Aachen die Thronerhebung des neuen Königs und in Köln, wo zu Anfang des Decembers eine Reichsversammlung stattfand, wahrscheinlich unter dem Vorsitz des Papstes, gelang es diesem, Streitigkeiten beizulegen, die dem verstorbenen Kaiser die Regierung sehr erschwert hatten: durch seine Vermittelung machten die vornehmsten Laienfürsten von Niederlothringen, Herzog Gottfried der Bärtige und die Grafen von Flandern, ihren Frieden mit Heinrich IV. Um Weihnachten und zu Anfang des Jahres 1057 betheiligte sich der Papst in Regensburg an ähnlichen, zur Beruhigung Baierns dienenden Verhandlungen, im Februar zog er über die Alpen, um seine Thätigkeit in der Folge auf Italien zu beschränken. Auch hier veränderte sich die Lage nach dem Tode Heinrich’s III. und unter dem Einfluß dieses Ereignisses wesentlich. Die Normannen boten die Hand zum Frieden; das Haus Canossa erlangte seine frühere Machtstellung wieder; die früher bekämpften Lothringer, Herzog Gottfried und dessen Bruder, der päpstliche Kanzler Friedrich, galten als Stützen des Reiches und der Kirche. Seinem Kanzler verhalf der Papst zu dem wichtigen Posten eines Abtes von Montecassino und zugleich ehrte er ihn durch Erhebung zur Würde eines Cardinalpriesters. In Rom weilte V. II. damals nicht lange: bald nach der Frühjahrssynode war er wieder in Tuscien und ordnete kirchliche Verhältnisse, namentlich im Innern des Landes, aber schon stand er am Ende seines bewegten und an Erfolgen reichen Lebens. Am 23. Juli schlichtete er auf einer Synode zu Arezzo einen Rechtsstreit zwischen den Bischöfen von Siena und Arezzo; wenige Tage später, am 28. Juli, starb er dort, hingerafft, wie man vermuthen darf, von einer klimatischen Krankheit. Sein deutsches Gefolge wollte ihn in der Heimath bestatten, aber man kam nicht weit. Bewohner Ravennas raubten die Leiche und bargen sie in ihrer Stadt als einen kostbaren Schatz: seine letzte Ruhestätte fand dieser deutsche Papst vor den Mauern Ravennas, in der Kirche S. Maria Rotunda, jenem gewaltigen Kuppelbau, der ursprünglich das Mausoleum des ostgothischen Königs Theoderich gewesen war. Innerhalb der kirchlichen Reformpartei wurde Papst V. II. nur wenig betrauert: hatte er doch ihren hierarchischen und ascetischen Bestrebungen persönlich ferner gestanden als sein Vorgänger Leo IX. Immerhin hatte ein so hervorragender Reformer wie Petrus Damiani Worte der Anerkennung für ihn und auf deutschem Boden, in dem Bisthum Eichstädt, welches seinem Papst-Bischof viel zu verdanken hatte, ward die Erinnerung an ihn pietätvoll gepflegt.

Eine Hauptquelle für die Lebensgeschichte Victor’s II. bilden die Erzählungen des Anonymus von Herrieden, eines Geschichtsschreibers aus der Königszeit Heinrich’s IV. (Mon. Germ. hist. SS. VII). Die urkundlichen Zeugnisse sind verzeichnet bei Ph. Jaffé, Regesta pontif. Romanor. ed. 2, T. I. Vgl. auch M. Lefflad, Regesten der Bischöfe von Eichstätt, Abth. 1 (Eichstädt 1871); S. Riezler, Geschichte Baierns Bd. I und in den Forschungen zur D. Gesch. Bd. XVIII; J. Sax, die Bischöfe und Reichsfürsten von Eichstädt, Bd. I (Landshut 1884). Allgemeine Werke, in denen die Lebensgeschichte Victor’s II. als Bestandtheil der Reichsgeschichte dargestellt wird, sind: W. v. Giesebrecht, Geschichte der Deutschen Kaiserzeit, Bd. II und III. – E. Steindorff, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich III., Bd. I und II. – G. Meyer v. Knonau, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., Bd. I.