ADB:Kekulé, August

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Artikel „Kekulé, August“ von Richard Anschütz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 479–486, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kekul%C3%A9,_August&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 08:29 Uhr UTC)
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Kekulé *): Friedrich August K., der Schöpfer der Lehre von der Valenz der Atome und der Strukturchemie, wurde am 7. September 1829 in Darmstadt als Sohn des Oberkriegsrathes Karl Kekulé geboren. Im Herbst 1847 verließ K. als einer der besten seines Jahrganges das Ludwig Georgs-Gymnasium seiner Vaterstadt mit dem Reifezeugniß, um sich in Gießen unter Ritgen’s[WS 1] Leitung dem Studium der Architektur zuzuwenden, wozu ihn seine Anlagen zum Zeichnen und zur Mathematik besonders zu befähigen schienen. Aber bald erkannte er seinen Beruf zur Chemie, für die ihn die Vorträge Justus v. Liebig’s gewannen. Nicht ohne häusliche Kämpfe setzte es K. durch, seiner Neigung folgen und das Studium der Architektur mit dem der Chemie vertauschen zu dürfen. Um ihm Zeit zur ruhigen Ueberlegung zu geben, hielt ihn seine Familie – sein Vater war am 28. August 1847 gestorben – den Winter 1848/49 in Darmstadt zurück. Er verwendete das Semester, um auf der höheren Gewerbeschule in Darmstadt, aus der sich später die technische Hochschule entwickelt hat, Vorträge über Chemie, Physik, Mechanik und Mathematik zu hören. Nebenbei bildete er sich bei einem Drechslermeister in der Kunst des Holzdrehens aus. Als sich zeigte, das Kekulé’s Entschluß, Chemie zu studiren unabänderlich sei, durfte er im Sommersemester 1849 wieder die Universität Gießen beziehen. Mit leidenschaftlichem Eifer gab er sich unter Leitung von Heinrich Will und Theodor Fleitmann den experimentellen chemischen Arbeiten hin. An letzterem, dem Begründer der deutschen Nickelindustrie, gewann K. einen treuen Freund fürs Leben. Rasch vollendete K. seine analytisch-chemische Ausbildung und unternahm auf H. Will’s Anregung seine erste selbständige chemische Arbeit: „Ueber die Amyloxydschwefelsäure“, die im October 1850 in J. v. Liebig’s Annalen veröffentlicht wurde und auf die hin er zwei Jahre später in Gießen am 15. Juli 1852 den philosophischen Doctorgrad erwarb. Nach Abschluß dieser Versuche ließ ihn J. v. Liebig eine kurze Zeit an seinen pflanzenphysiologisch-chemischen Arbeiten theilnehmen. Im Sommer des unruhigen Jahres 1850 diente K. ein Vierteljahr als dem zweiten Aufgebot angehöriger Rekrut im ersten großherzoglich hessischen Infanterieregiment, dem jetzigen Regiment Nr. 115.

Noch hatte K. seine Studien nicht abgeschlossen, da gewährte ihm sein in London als Großkaufmann zu Reichthum gelangter Stiefbruder Karl Kekulé die Mittel eine Zeitlang ins Ausland zu gehen. K. entschied sich für Paris, ein Entschluß, der für seine wissenschaftliche Entwicklung von der größten Bedeutung werden sollte. Im Anfang Mai 1851 reiste er ab und blieb in Paris bis Anfang April 1852. Unterwegs fiel ihm im Schaufenster einer Buchhandlung in Frankfurt das Buch des französischen Gelehrten Charles Gerhardt, des Erfinders der Typentheorie auf: „Introduction à l’étude de chimie par le système unitaire“. Er kaufte es und machte sich schon auf der Reise den Inhalt zu eigen. Der Pariser Aufenthalt brachte dem Liebig’schen Schüler, der sich durch Jugendschönheit, ein natürliches, sicheres Benehmen und eine lebendige Unterhaltungsgabe auszeichnete, die Freundschaft von Charles Gerhardt, aus dessen Typentheorie sich später Kekulé’s Valenztheorie entwickelte. K. hörte in Paris Vorlesungen bei Dumas, Cahours, Wurtz, Ch. Gerhardt, Payen, Magendie, Regnault und Pouillet. Auch erwarb er [480] sich eine große Fertigkeit im Gebrauche der französischen Sprache, die ihm später zu gute kommen sollte.

Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde K. durch Liebig’s Vermittlung Privatassistent bei Adolf v. Planta auf Schloß Reichenau bei Chur. Zur Annahme dieser Stellung, die er einer Assistentur bei Liebig vorzog und in der er anderthalb Jahre verblieb, mag K. vor allem der Gedanke bewogen haben, daß er einer Zeit der ruhigen Sammlung bedürfe, um die durch den Pariser Aufenthalt in ihm geweckten Ideen zu verarbeiten und auszugestalten. Gemeinschaftlich mit v. Planta untersuchte er die Engadiner Mineralquellen und die Pflanzenalkaloïde Coniin und Nikotin. Unterstützt durch seine spielend leichte Auffassungsgabe und ein Gedächtniß von unfehlbarer Treue, eignete sich K. in dieser Zeit die Gesammtsumme des damaligen Wissens über die Chemie der Kohlenstoffverbindungen an. Zugleich schwelgte sein für landschaftliche Schönheit so empfänglicher Sinn im Anblick der großartigen Schweizer Hochgebirgswelt.

Im Herbst 1853 ging dann K., als Privatassistent, wiederum durch Liebig’s Vermittlung, zu John Stenhouse, Professor der Chemie am Bartholomaeus-Hospital in London. Freilich bot K. die Richtung der Arbeiten seines neuen Chefs, der sich damals hauptsächlich mit der Untersuchung neuer Droguen beschäftigte, keine tiefere Anregung. In London schloß sich K. besonders an Williamson an; er lernte Odling kennen und stand in anregendstem, freundschaftlichem Verkehr mit Reinhold Hoffmann, Williamson’s Assistenten und Hugo Müller, einem Schüler Wöhler’s und Assistent bei Warren de la Rue. In der kargen freien Zeit, die ihm seine Stellung ließ, führte K. seine erste völlig selbständige Experimentaluntersuchung über die Thiacetsäure aus, deren Ergebnisse er in der Sitzung vom 5. April 1854 der Royal Society vorlegte, sie enthält die Grundzüge seiner Theorie von der Werthigkeit der Atome oder der Valenztheorie.

Es ist hier nicht der Ort, die Verdienste von Kekulé’s Zeitgenossen Frankland, Kolbe, Charles Gerhardt, Wurtz, Williamson und Odling um die Ausbildung des Begriffes der Werthigkeit der Elemente in ihren Beziehungen zu Kekulé’s Valenztheorie darzulegen. Nur soviel sei hervorgehoben, daß die Valenztheorie in innigstem Zusammenhang mit Gerhardt’s Typentheorie steht.

Während seines Londoner Aufenthaltes faßte K. den Entschluß sich dem akademischen Lehrberuf zuzuwenden; seine Lehrjahre waren vorüber. Er habilitirte sich im Winter 1856 in Heidelberg für organische Chemie. Dort übte damals Robert Bunsen eine große Anziehungskraft besonders auch auf ausländische Studenten aus, neben ihm wirkte als Professor der Physik Kirchhoff. In Bunsen’s überfülltem Laboratorium war kein Raum für den jungen Privatdocenten, dessen Hauptarbeitsfeld die organische Chemie war, von der sich Bunsen längst abgewendet hatte. Mit den beschränktesten Mitteln richtete sich K. im Hause des Mehlhändlers Goos in Heidelberg ein Privatlaboratorium und ein Auditorium ein. Reinhold Hoffmann beendete als erster Praktikant Kekulé’s dort seine Arbeit über die Monochloressigsäure. Auch Adolf v. Baeyer schloß sich damals an K. an und führte in Kekulé’s Laboratorium seine Arbeit über organische Arsenverbindungen aus. Kündig entdeckte unter Kekulé’s Leitung die Bildung von Acetamid aus Ammoniumacetat. „Obwohl Kekulé bei Beginn seiner Lehrthätigkeit erst im Alter von 27 Jahren stand, wuchs er erstaunlich rasch zu einer Größe ersten Ranges heran.“ Der Kreis, in den K. eintrat, umfaßte eine Reihe Bunsen’scher Schüler, die später Hochschullehrer wurden. Es seien Carius, Pebal, Landolt, Beilstein, Lothar Meyer und H. E. Roscoe genannt. Auch Emil Erlenmeyer ließ sich zu jener Zeit in [481] Heidelberg nieder und richtete sich in demselben Haus wie K. ein Privatlaboratorium ein.

In Heidelberg veröffentlichte K. seine berühmte Abhandlung über das Knallquecksilber, in der er den Kohlenstoff vor Archibald Couper, als ein vierwerthiges Element erkennt, d. h. als Element, von dem ein Atom die Fähigkeit hat, sich mit vier Atomen eines anderen einwerthigen Elementes, z. B. vier Wasserstoffatomen zu verbinden. Es folgen seine Abhandlungen: „Ueber die sog. gepaarten Verbindungen und die Theorie der mehratomigen Radicale“, „Ueber die Constitution und die Metamorphosen der chemischen Verbindungen“ und „Ueber die chemische Natur des Kohlenstoffs“. In der letzten dieser drei Abhandlungen findet sich die Stelle, die August K. den Namen des Philosophen in der Chemie verschaffte. Sie sei wörtlich angeführt als ein Denkmal Kekulé’scher Geistesarbeit aere perennius:

„Ich halte es für nöthig und bei dem jetzigen Stande der chemischen Kenntnisse für alle Fälle für möglich, bei der Erklärung der Eigenschaften der chemischen Verbindungen zurückzugehen bis auf die Elemente selbst, die die chemischen Verbindungen zusammensetzen. Ich halte es nicht mehr für die Hauptaufgabe der Zeit, Atomgruppen nachzuweisen, die gewisser Eigenschaften wegen als Radicale betrachtet werden können, und so die Verbindungen einigen Typen zuzuzählen, die dabei kaum eine andere Bedeutung als die einer Musterformel haben. Ich glaube vielmehr, daß man die Betrachtung auf die Constitution der Radicale selbst ausdehnen, die Beziehungen der Radicale unter einander ermitteln und aus der Natur der Elemente ebensowohl die Natur der Radicale, wie die der Verbindungen herleiten soll. Die früher von mir zusammengestellten Betrachtungen über die Natur der Elemente, über die Basicität“ – oder wie wir heute sagen der Valenz – „der Atome bilden dazu den Ausgangspunkt.“

K. entwickelte die Verkettungstheorie der Atome mehrwerthiger Elemente. Er erklärte die unermeßliche Mannichfaltigkeit der Kohlenstoffverbindungen durch die Fähigkeit der Kohlenstoffatome, sich mit einander unter Verwendung eines Theiles ihrer Valenzen zu Kohlenstoffketten zu verbinden. Die nicht auf Kohlenstoffbindung verwendeten Valenzen der Kohlenstoffatome werden verbraucht, um die Atome anderer Elemente oder andere Atomgruppen festzuhalten.

Der Weiterentwicklung der Dalton’schen Atomtheorie war damit in glänzender Weise erreicht.

Besonders die zuletzt erwähnte Abhandlung Kekulé’s erregte in Fachkreisen großes Aufsehen und so wurde er schon im J. 1858 auf Rath von Jean Servais Stas von der belgischen Regierung als ordentlicher Professor der Chemie nach Gent berufen. Dank seinem früheren Aufenthalte in Paris war K. in der Lage sofort seine Vorlesungen in französischer Sprache und zwar mit glänzendem Erfolg zu halten. In dem von ihm neu eingerichteten, bald nicht genug Raum bietenden Laboratorium versammelt sich um den jungen Meister ein Kreis begeisterter Schüler. Aus Heidelberg waren ihm Kündig und Adolf v. Baeyer gefolgt. Zu Kekulé’s Genter Schülern zählen Hübner, Ladenburg, Linnemann, Foster, Fitz, Radziszewski, zu seinen damaligen Assistenten Swarts, Karl Glaser und Wilhelm Körner. Innige Freundschaft verband K. mit Stas; auch dem damaligen belgischen Minister Charles Rogier trat er näher. Kekulé’s sicheres weltmännisches Auftreten, sein schlagfertiger Witz, seine umfassende allgemeine und naturwissenschaftliche Bildung öffneten ihm die besten Genter Gesellschaftskreise. In diesen lernte [482] er die anmuthige Stephanie Drory kennen, die Tochter des Inspecteur général der Imperial Gas Association Georg William Drory’s, eines geborenen Engländers, die er 1862 heimführte. Leider verlor K. seine junge Gattin nur zu bald, sie starb wenige Tage nach der frühzeitigen Geburt seines Sohnes Stephan, dem sie am 1. Mai 1863 das Leben schenkte. Nur schwer hat K. den frühen Verlust seiner Gattin überwunden.

Von den Experimentalarbeiten die K. in Gent ausführte, seien folgende hervorgehoben: die Umwandlung der Bernsteinsäure durch Mono- und Dibrombernsteinsäure in Aepfelsäure beziehungsweise inactive Weinsäure und Traubensäure; ferner die Verfolgung der Additionsreactionen der Maleïn- und Fumarsäure, Citra-, Mesa- und Itaconsäure; die Elektrolyse der Bernsteinsäure; Maleïn- und Fumarsäure.

Schon in Heidelberg Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte K., von seinen neuen theoretischen Anschauungen ausgehend, mit überlegener Meisterschaft die organische Chemie oder die Chemie der Kohlenstoffverbindungen in einem ausführlichen, bei Enke in Stuttgart verlegten Lehrbuch zu behandeln begonnen, dessen erster Band 1861 vollendet vorlag. Noch zwei Bände wurden später herausgegeben, aber das groß angelegte Werk ist unvollendet geblieben, denn einmal ging die Entwicklung der organischen Chemie zu rasch vorwärts, um den gewaltigen Stoff mit der Ausführlichkeit zu behandeln, mit der es in den ersten Theilen geschehen war, und dann genügte auch der ursprüngliche Rahmen nicht mehr für die zahllosen neuen Erscheinungsformen der kohlenstoffhaltigen Ringsysteme. Zu einer Aenderung der ganzen Art der Behandlung und des Systems aber konnte sich K. in späteren Lebensjahren nicht mehr entschließen. In den Fachkreisen und weit darüber hinaus auch bei den Gelehrten, die der organischen Chemie nur als Hülfswissenschaft bedurften, erregte Kekulé’s Lehrbuch ungetheilte Anerkennung. Klar wie noch nie zuvor waren in der Einleitung die Grenzen von Thatsachen und Annahmen in der Chemie auseinandergesetzt. Der Bau der Moleküle der Kohlenstoffverbindungen wurde aus der Valenz der sie zusammensetzenden Atome und ihrem Gesammtverhalten abgeleitet, wie es die Umwandlungs-, Abbau- und Aufbaureactionen erkennen ließen.

1865 beschenkte K. die Wissenschaft mit der Benzoltheorie oder der Theorie der aromatischen Substanzen, die am meisten zum Ruhme ihres Schöpfers beitrug. K. führte die aromatischen Substanzen, die sich durch ihr eigenthümliches Verhalten auszeichnen, auf das im Steinkohlentheer enthaltene Benzol als Grundkohlenwasserstoff zurück. Er nahm in dem Benzol und allen Benzolabkömmlingen einen Ring an, der aus sechs miteinander in abwechselnder doppelter oder einfacher Bindung befindlichen Kohlenstoffatomen besteht. Ein Gebiet von grenzenloser Ausdehnung wurde durch diese Idee theoretisch erschlossen, es umfaßt alle Kohlenstoffverbindungen, die man sich durch Ersatz der Wasserstoffatome des Benzols durch die Atome anderer Elemente abgeleitet denken kann. Die Ermittlung des Baues oder der Struktur der in der Natur vorkommenden, sowie der künstlich dargestellten aromatischen Verbindungen wurden damit der zielbewußten experimentellen Forschung zugänglich.

Um die Vorstellungen, die man sich auf Grund der Valenztheorie von der Verkettung und Ringbildung der Kohlenstoffatome untereinander und mit den Atomen anderer Elemente machte, seinen Schülern durch die Anschauung übermitteln zu können, erdachte K. Atommodelle verschiedener Form, zuletzt solche, die die Atome der Elemente durch gleich große, verschieden gefärbte Holzkugeln darstellten, z. B. das einwerthige Wasserstoffatom durch eine weiße, mit einer Messinghülse versehene Kugel, das vierwerthige Kohlenstoffatom durch [483] eine schwarze Kugel, die mit vier gleich langen, nach den Ecken eines regulären Tetraeders gerichteten Messingstäben versehen ist. Diese Atommodelle ließen sich ohne Schwierigkeit in der verschiedensten Art miteinander verbinden und ermöglichten eine greifbare Vorstellung über den Bau der Moleküle. Damit war nicht nur dem Lehrer und Schüler, sondern auch dem Forscher ein ausgezeichnetes wissenschaftliches Hülfsmittel für chemische Betrachtungen an die Hand gegeben. K. führte sein Ringen nach einer Veranschaulichung des Baues chemischer Verbindungen durch Atommodelle gern auf seine architektonischen Studien zurück.

Auf Grund seiner Benzoltheorie wendete sich K. damals auch experimentellen Arbeiten auf diesem Gebiete zu. Er fand eine Synthese aromatischer Monocarbonsäuren durch gleichzeitige Einwirkung von Natrium und Kohlendioxyd auf Brombenzol und alkylierte Brombenzole, er lehrte die aromatischen Diazoamidoverbindungen in Amidoazoverbindungen umlagern und klärte die Constitution der von Peter Grieß entdeckten aromatischen Diazoverbindungen auf.

August K. hatte den Gipfel seines Ruhmes erreicht. Die preußische Regierung berief ihn 1867 an August Wilhelm Hofmann’s Stelle, der Nachfolger Mitscherlich’s in Berlin wurde, an das neuerbaute chemische Institut der Universität Bonn. Die Einrichtung und Leitung des Instituts übernahm K. zunächst gemeinschaftlich mit Hans Landolt, bis dieser einem Rufe nach Aachen folgte.

Die ersten Jahre seiner Bonner Thätigkeit brachten zahlreiche Experimentaluntersuchungen Kekulé’s meist aus dem Gebiet der aromatischen Substanzen, die er zum Theil in Gemeinschaft mit Schülern ausführte, die ihm auch in Bonn zuströmten. So arbeitete er mit Szuch über das Phenylmercaptan und Phenylsulfid, mit Thorpe über Aethylbenzoësäure, mit Hidegh über Oxyazobenzol, mit Franchimont über das Triphenylmethan, mit Pott und Flesch über die Bildung von Cymol aus Campher mit Phosphorpentasulfid. An letztere Beobachtung knüpfte K. Betrachtungen über die Constitution des Camphers. Auch mit dem Indigo beschäftigte er sich damals und stellte die später durch Synthese von Claisen und Shadewell als richtig bewiesene Isatinformel auf. Auf dem Gebiete der Fettchemie bewegten sich seine, gemeinschaftlich mit Zincke ausgeführten Untersuchungen über die polymeren Modificationen des Acetaldehyds. Hervorgehoben seien auch Kekulé’s Betrachtungen über die Condensation des Acetaldehydes und die Constitution des Phorons.

1873 lehnte K. einen ehrenvollen Ruf, als Liebig’s Nachfolger Bonn mit München zu vertauschen, ab.

Im J. 1876 schloß K. eine zweite Ehe mit Louise Högel, einer Rheinländerin, die ihm bis zu seinem Lebensende eine treue Gefährtin und namentlich in dem Leiden seiner letzten Lebensmonate eine aufopfernde Pflegerin gewesen ist. Dieser Ehe entsprossen ein Sohn Fritz und die beiden Töchter Louise und Auguste. Das weiche Gemüth Kekulé’s trat besonders zu Tage in der rührenden Zärtlichkeit, mit der er seinen Kindern zugethan war.

Das Vertrauen seiner Collegen berief K. im Herbst 1877 als Rector Magnificus an die Spitze der rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Aus dieser Zeit stammt die am 18. October 1877 zum Antritt des Rectorates gehaltene Rede: „Die wissenschaftlichen Ziele und Leistungen der Chemie“ und die am 22. März 1878 am Geburtsfest Kaiser und Königs Wilhelm I. gehaltene Rede: „Die Principien des höheren Unterrichts und die Reform der Gymnasien“.

Allmählich machte sich bei K. eine nach den fast übermenschlichen Arbeitsleistungen der Heidelberger und Genter Zeit erklärliche, langsam zunehmende [484] Erschöpfung bemerklich, dazu kam eine ihn störende Schwerhörigkeit. Aber stets verfolgte er mit aufmerksamem Blick die Fachlitteratur, wofür von Zeit zu Zeit durchschlagende kritische Experimentaluntersuchungen, die er mit seinen Schülern und Assistenten ausführte, Zeugniß ablegen. Mit Richard Anschütz veröffentlichte K. die Oxydation der Fumarsäure zu Traubensäure und der Maleïnsäure zu inactiver Weinsäure. Einwände gegen seine Benzolformel beseitigte er durch die in Gemeinschaft mit Hugo Schröter ausgeführte Untersuchung „Ueber die Carboxytartronsäure“ und durch eine mit Otto Strecker veröffentlichte Arbeit „Ueber die Trichlorphenomalsäure“. Eine Reihe seiner Bonner Assistenten und Mitarbeiter wie Glaser, Zincke, Wallach, Claisen, Klinger, Bernthsen, Anschütz, Bredt, Hugo Schröter nahmen später leitende Stellen an Hochschullaboratorien oder in der Theerfarbenindustrie ein.

Im Frühjahr 1896 erkrankte K. an Grippe und Lungenentzündung, es entwickelte sich ein Herzleiden, das um die Mittagsstunde des 13. Juli sein großes Forscherleben endete.

Es ist schwer wenn nicht geradezu unmöglich, den Einfluß der aus der Vierwerthigkeit des Kohlenstoffs abgeleiteten Theorien der Verkettung und der Ringschließung der Kohlenstoffatome auf die Entwicklung der organischen Chemie zu ermessen, aber man kann ihn nicht leicht zu hoch bewerthen. Besonders der im Gebiete der Kohlenstoffverbindungen thätige Forscher lebt im Banne der Kekulé’schen Ideen: sie geben ihm den Schlüssel zum Verständniß der Aufbau- und Abbau-Reactionen auch der verwickeltsten Kohlenstoffverbindungen, sie ermöglichen ihm, die weit über hunderttausend bis jetzt bekannten Kohlenstoffverbindungen zu ordnen, sie lehren ihn die genetischen Beziehungen nicht nur ein-, sondern häufig voraussehen. So umschlossen Kekulé’s Theorien in der That eine Zeitlang fast den Gesammtumfang unseres Wissens über die Kohlenstoffverbindungen und trugen die Keime zur Weiterentwicklung in sich. Aus Kekulé’s Kohlenstoffmodell ist die Theorie des asymmetrischen Kohlenstoffs von van’t Hoff und Le Bel und Adolf v. Baeyer’s Spannungstheorie herausgewachsen.

Kekulé’s Theorien, besonders seine Benzoltheorie, geben die wissenschaftliche Grundlage für die Fabrikation der künstlichen organischen Farbstoffe, Arzneimittel und Riechstoffe ab, für deren Gewinnung der Steinkohlentheer das Hauptausgangsmaterial bildet. Nicht nur gelang es werthvolle, in der Natur vorkommende Farbstoffe wie Alizarin und Indigo auf Grund der durch Kekulé’s Theorien gewonnenen Einsicht in die Struktur ihrer Moleküle aus Theerkohlenwasserstoffen aufzubauen, sondern Scharen organischer Farbstoffe, Arzneimittel und Riechstoffe, die wir in der Natur nie finden werden, erblickten in den verflossenen vierzig Jahren in den Laboratorien der Hochschulen und der Fabriken das Licht der Welt. K. selbst hat sich an der Herstellung technisch werthvoller Kohlenstoffverbindungen niemals betheiligt, aber seiner Benzoltheorie ist das beispiellose Aufblühen der deutschen Theerfarbenfabriken, das er miterleben durfte, zu verdanken. Bei Gelegenheit der im J. 1890 von der Deutschen chemischen Gesellschaft in Berlin veranstalteten 25jährigen Jubelfeier der Kekulé’schen Benzoltheorie ehrten deutsche Theerfarbenfabriken den Schöpfer dieser Theorie und sich selbst, indem sie Kekulé’s Bild, von Angeli’s Meisterhand gemalt, der Nationalgalerie überwiesen, um von dieser hervorragenden Stelle aus die Züge eines der erfolgreichsten Denker der deutschen Nation der Nachwelt vor Augen zu führen. In wichtigen Patentstreitigkeiten der großen Theerfarbenfabriken wurde K. zum Schiedsrichter aufgerufen und beeinflußte durch seine tief durchdachten Gutachten die Entwicklung unseres Patentrechtes.

[485] Auch sonst hat es K. an Anerkennung seiner Verdienste nicht gefehlt; er war Mitglied der meisten europäischen Akademien, außer anderen Auszeichnungen wurde ihm 1874 die Copley-Medaille, 1885 die Huyghens-Medaille, 1888 der bairische Maximilians-Orden für Kunst und Wissenschaft, am 31. Mai 1893 die Friedensclasse des preußischen Ordens pour le mérite verliehen.

Durch Diplom vom 27. März 1895 wurde dem Geheimen Regierungsrath Professor Dr. August Kekulé von Seiner Majestät dem Kaiser und König Wilhelm II., der als Prinz Wilhelm im Sommersemester 1878 bei K. Experiperimentalchemie gehört hatte, der ausländische Adel unter dem von seinen böhmischen Vorfahren geführten Namen „Kekulé von Stradonitz“ nebst dem überkommenen Wappen anerkannt und erneuert.

In K. fanden sich in glücklichster Weise die Gaben des Forschers mit denen des Lehrers vereinigt. Seine Vorlesungen waren übersichtlich in der Anordnung des Stoffes, klar und anschaulich in der Darstellung und unübertroffen in der Art, wie die von ihm mit spielender Leichtigkeit und Anmuth ausgeführten Vorlesungsversuche sich dem Lehrvortrag einfügten.

Vor dem chemischen Institut zu Bonn, in dem August K. als einer der gefeiertsten Lehrer der rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität fast 30 Jahre wirkte, erhebt sich das am 9. Juni 1903 enthüllte Erzstandbild Kekulé’s inmitten anmuthiger Gartenanlagen. Das von Hans Everding aus Rom geschaffene Denkmal stellt uns K. im kräftigsten Mannesalter, als akademischen Lehrer dar, umgeben von den durch Sphinxe versinnbildlichten Räthseln der Chemie. Als Ornament hat der von seiner Aufgabe durchdrungene Künstler, um die berühmteste Leistung Kekulé’s zum Ausdruck zu bringen, Sechsecke in die Lagen eingefügt, die den Sockel der Sphinxe mit dem Postament verbinden. Everding will damit sagen, daß ein Theil des Weges, der zur Lösung der räthselvollen chemischen Naturerscheinungen führt, durch Kekulé’s Benzoltheorie erhellt ist. Die Verdienste dieser Theorie um die Theerfarbenfabriken bringt ein Broncerelief zum Ausdruck: die Wissenschaft schenkt der Industrie Kekulé’s Modell des Benzols.

August K. wurde auf dem Poppelsdorfer Friedhof am Abhang des Kreuzberges bei Bonn bestattet. Sein Grabdenkmal trägt in rothen schwedischen Granit eingelassen ein von dem Bonner Universitätsbildhauer Professor Küppers modellirtes ausgezeichnetes Broncerelief, das die Züge des gealterten Gelehrten auf das treuste wiedergibt.

Kekulé’s Abhandlungen finden sich größtentheils in Liebig’s Annalen der Chemie, in den Berichten der Königlich Belgischen Akademie zu Brüssel und in den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft.

Bei der Abfassung vorstehender Lebensbeschreibung wurden unter anderen folgende litterarische Hülfsmittel benutzt: Bericht über die Feier der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Ehren August Kekulé’s von Gustav Schultz: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1890, Bd. 23, S. 1265 bis 1312. – August Kekulé Nachruf von Richard Anschütz: Chronik der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität zu Bonn, Jahrgang 22, S. 9–15. – Gedächtnißrede auf August Kekulé von Otto Wallach: Nachrichten der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Geschäftliche Mittheilungen 1897, Heft 1. – August Kekulé Nachruf von Otto Wallach: Naturwissenschaftliche Rundschau, Jahrgang XI, Nr. 34. – August Kekulé Nachruf von H. Wichelhaus: Die Chemische Industrie, Jahrgang XIX, S. 313–315. – August Kekulé Nachruf von Wilhelm Königs: Münchener Medizinische Wochenschrift 1896, Nr. 39, 40 und 41. – Kekulé Memorial Lecture by Francis R. Japp, F. R. S.: Journal of the Chemical Society, [486] London 1897, S. 97–138. – Ein Dreigestirn großer Naturforscher an der Heidelberger Universität im 19. Jahrhundert, II, von A. Kußmaul: Deutsche Revue 1902, Bd. 27, S. 173–187. – Das Kekulé-Denkmal in Bonn und die Feier seiner Enthüllung am 9. Juni 1903 von Eberhard Rimbach: Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1903, Bd. 36, S. 4614–4640.

[479] *) Zu S. 98.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hugo von Ritgen (1811–1889), Architekt