ADB:Czerny, Karl

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Artikel „Czerny, Karl“ von Carl Ferdinand Pohl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 673–676, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Czerny,_Karl&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 13:12 Uhr UTC)
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Czerny: Karl C., ausgezeichneter Clavierlehrer und äußerst fruchtbarer Componist, geb. zu Wien 21. Febr. 1791, † daselbst 15. Juli 1857. Vater und Großvater waren gut musikalisch. Wenzel, der Vater, um 1750 in Nimburg, einem böhmischen Städtchen geboren, kam 1786 nach Wien und suchte daselbst durch Clavierunterricht sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen. Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes zogen die Eltern mit demselben nach Polen, wo der Vater in einem gräflichen Hause eine Clavierlehrerstelle angenommen hatte. Von da an schreiben sich Karls erste Erinnerungen her. „Ich soll ein sehr munteres Kind gewesen sein (schreibt C. in seiner Selbstbiographie) und schon im dritten Jahre meines Alters einige Stückchen auf dem Clavier gespielt haben.“ Die damaligen politischen Unruhen veranlaßten die Eltern, ihren Aufenthalt in Polen abzukürzen und mit dem nun vierjährigen Kinde nach Wien zurückzukehren, um nunmehr ihren bleibenden Wohnsitz daselbst aufzuschlagen. Czerny’s Vater hatte sich durch das Studium der Werke Bach’s, Clementi’s u. A. eine tüchtige Behandlung seines Instrumentes angeeignet und trachtete darnach, den Musiksinn des Sohnes auf solider Basis zu entwickeln und ihn namentlich zu fleißigem Avistaspielen anzuhalten. Der Erfolg war ein lohnender, denn der Kleine, kaum zehn Jahre alt, war schon im Stande, fast alles von Mozart, Clementi und anderen damals bekannten Meistern geläufig und meist auch auswendig vorzutragen. Die Bekanntschaft mit Wenzel Krumpholz, Violinspieler im Hoftheater († 2. Mai 1817, alt 67 Jahr) griff hier bedeutsam ein in das Geschick Czerny’s. Krumpholz (Bruder des Erfinders der [674] Pedalharfe), ein leidenschaftlicher Verehrer Beethoven’s, weckte in seinem kleinen Freunde die gleiche Begeisterung für den Meister und führte ihn endlich selbst in Begleitung des Vaters bei demselben ein. „Wie freute und fürchtete ich mich des Tages (schreibt C.), wo ich den bewunderten Mann sehen sollte! Noch heute [1842] schwebt mir jener Augenblick lebhaft im Gedächtniß.“ Der Gang wurde entscheidend für Czerny’s Leben. Nachdem ihn Beethoven spielen gehört hatte, sagte er zum Vater: „Der Knabe hat Talent, ich selber will ihn unterrichten und nehme ihn als meinen Schüler an. Schicken Sie ihn wöchentlich einigemal zu mir. Vor allem aber verschaffen Sie ihm Emanuel Bach’s Lehrbuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, das er schon das nächste Mal mitbringen muß.“ So wurde C. Beethoven’s Schüler und dieser hing mit ganzer Seele an seinem Lehrer. Beethoven’s Werke bildeten nun die Grundlage seines Studiums; alles was dieser componirte, wußte er sofort auswendig zu spielen, wodurch er sich nun auch den Fürsten Lichnowsky, Beethoven’s Gönner, zum Freunde machte. Als nun nach längerer Unterbrechung des Unterrichts Beethoven seinen Schüler beim Fürsten wieder spielen hörte, sprach er seine Zufriedenheit aus über dessen Fortschritte. „Ich hab’ es ja gleich gesagt, daß der Junge Talent habe, aber (setzte er lächelnd hinzu) sein Vater war gegen ihn nicht strenge genug.“ „„Ach Herr van Beethoven (versetzte Czerny’s Vater gutmüthig), es ist eben unser einziges Kind.““ Mit Interesse verfolgt man, was C., der doch bis dahin Lichnowsky, Wölfl, Beethoven spielen gehört, von dem Eindruck sagt, den Hummel’s Vortrag auf ihn machte, der ihm in „längst bekannten Stücken eine neue Welt erschloß“. Auch die Bekanntschaft mit Andreas Streicher, Musiklehrer und Clavierfabrikant, war C. von Nutzen. Wichtiger noch wurde für ihn die öftere Begegnung mit Clementi (1810), dessen Lehrmethode er in einem befreundeten Hause Gelegenheit hatte, kennen zu lernen. C. hatte schon damals zahlreiche Schüler, während er selbst das Studium der Classiker eifrig fortsetzte, dabei aber auch auf seine vielseitige geistige Ausbildung bedacht war. In Erlernung der Weltsprachen, in historischer und wissenschaftlicher Lecture waren jene arme Studirende seine Lehrer die hierdurch den Clavierunterricht bei Czerny’s Vater vergüteten. Ohne eigentliche theoretische Kenntnisse hatte C. frühe sich in der Composition versucht, als Opus 1 erschien von ihm im Jahre 1805: „Concertante, Variationen für Clavier und Violine über ein Thema von Krumpholz“. Erst jetzt begann er auch in der Tonsetzkunst sich gründlich auszubilden; nach langem Zwischenraume (1819) erschien bei Cappi und Diabelli sein zweites Werk, ein „Rondo brillant“ zu 4 Händen, und von da an wußte er die Verleger kaum zu befriedigen. Täglich 10–12 Lectionen gebend, benutzte er die Abende und Nächte zum Componiren, da es ihm immer mehr zum Bedürfniß wurde. In den Jahren 1816–23 veranstaltete er in der Wohnung seiner Eltern jeden Sonntag für seine besten Schüler musikalische Productionen, denen selbst Beethoven öfters beiwohnte, der an der ruhigen Häuslichkeit in Czerny’s Hause so viel Gefallen fand, daß er gegen den Sohn wiederholt sich äußerte: „Ja, wenn ich bei Ihren Eltern wohnen könnte, dann wäre ich versorgt“ – ein Wunsch der bei der zunehmenden Kränklichkeit derselben unerfüllt bleiben mußte. Im J. 1816 wurde C. in der achtjährigen Ninette v. Belleville „eines der seltensten musikalischen Talente“ zugeführt. Die Kleine wohnte bei Czerny’s Eltern, ging 1819 auf Reisen und verbreitete Czerny’s Ruf als Lehrer rasch nun auch im Auslande. Ein Ersatz fand sich unmittelbar in dem damals zehnjährigen Franz Liszt. C. erstaunte über das unerhörte Talent, „man sah, hier habe die Natur selber einen Clavierspieler gebildet“. Ihm folgte Theodor Döhler, der durch eisernen Fleiß ersetzte, was ihm an glänzendem Talent abging. Obwol als ausübender Künstler gerühmt, trat C. nur selten öffentlich auf und auch dann nur [675] ungern. Eine beabsichtigte Kunstreise im J. 1804 unterblieb politischer Unruhen halber. C. verließ die Vaterstadt überhaupt nur, um einige Erholungsreisen anzutreten, so 1836 nach Leipzig, 1837 nach Paris und London und 1846 in die Lombardei. Von da ab blieb er beständig in Wien und führte die einfachste, möglichst gleichmäßige Lebensweise. Schon Mitte der dreißiger Jahre nahm er nur mehr solche Schüler an, die entschiedenes Talent versprachen; seine Hauptbeschäftigung war nun Composition und Arrangements der Werke großer Meister. In letzterer Beziehung machte C. schon eine Art Vorschule durch, als er Beethoven’s „Leonore“ für das Pianoforte übertrug. „Beethoven’s Bemerkungen bei dieser Arbeit (sagt C.) verdanke ich die mir später so nützlich gewordene Geübtheit im Arrangiren.“ – Zu Anfang der fünfziger Jahre nahmen Czerny’s Kräfte und seine Gesundheit merklich ab; Gichtanfälle und andere Leiden stellten sich ein und nöthigten ihn endlich sogar, seine einzige und liebste Beschäftigung, die ihm bisher Ersatz für alle Freuden der Außenwelt geboten hatte, aufzugeben. Damit hielt er auch seine irdische Mission für beendet und traf nun mit Hülfe seines langjährigen Freundes, des in der musikalischen Welt wohlbekannten Dr. Leopold Edlen v. Sonnleithner, die nöthigen Anordnungen für seine Hinterlassenschaft. Genau 4 Wochen nach diesem Act endete der wackere Künstler sein überaus thätiges Leben. C. war nie verheirathet und hatte weder Geschwister noch Verwandte. Im Aeußern höchst einfach und anspruchslos erscheinend, war er im Umgang stets freundlich und gefällig gegen Jedermann; sein Urtheil über Kunsterscheinungen war gerecht und nachsichtig, für junge Talente hatte er stets ein aufmunterndes Wort. Von Natur aus von sanftem, fast jungfräulichem Charakter, verletzte ihn selbst der Anschein von Gemeinheit oder Roheit; sein edles Herz aber offenbarte sich am nachdrücklichsten in seinem Testamente, in dem er sein bedeutendes, nur durch Fleiß erworbenes Vermögen nach Abzug einiger Legate in vier gleichen Theilen zu wohlthätigen und künstlerischen Zwecken bestimmte. – Czerny’s Claviercompositionen lassen sich in 3 Classen eintheilen: in die zur Ausbildung bestimmten, in brillante der Mode huldigende und in solche, in denen auf ernsteren Stil Rücksicht genommen ist. Die im Druck erschienen Werke belaufen sich auf nahezu 1000 Opuszahlen, von denen aber manche wiederum aus 50 bis 90 Heften bestehen. Unzählig sind seine Arrangemenzs der bedeutendsten Opern, Oratorien, Symphonien, Ouvertüren etc. für 2 und 4 Hände, sowie zu 2 Clavieren für 8 Hände; auf besondere Veranlassung arrangirte er auch die Ouvertüren zu „Semiramis“ und „Tell“ zu 8 Clavieren für je 4 Hände. – C. hat ferner für die Kirche, für Orchester, Kammermusik und Gesang gleich fleißig gearbeitet; es fanden sich hier in seinem Nachlasse handschriftlich noch 24 Messen, 4 Requiem, gegen 300 Gradualien und Offertorien, Symphonien, Ouvertüren, Concerte, Quintette, Quartette, Trios, Chöre, ein- und mehrstimmige Gesänge. Diesen Nachlaß noch ungedruckter Werke überblickend muß man staunen, wie der scheinbar schmächtige Mann im Stande war, so viel und vielerlei zu schreiben; gleichzeitig muß man aber auch bedauern, daß ein ursprüngliches Talent bei solchem Gebahren nothwendig verflachen mußte. Die besseren Werke früherer Jahre mit inbegriffen hat C. die Quintessenz seines Könnens und Wissens in jene Werke hinübergerettet, in denen man stets den ausgezeichneten Pädagogen anerkennen wird. Aus der Zahl dieser umfangreichen Werke seien hier die nachfolgenden hervorgehoben: „Die Künstlerbahn des Pianisten, eine vollständige praktische Schule von der höherern Geläufigkeit bis zur vollkommenen Ausbildung aller Zweige des ausübenden Mechanismus“, 5 Bände (enthaltend die weltbekannte Schule der Geläufigkeit des Legato und Staccato der Verzierungen, der linken Hand, des Fugenspiels etc., unter Op. 299 und 300, 335, 355, 399, 400; das ganze Werk erscheint in [676] neuer Ausgabe redigirt von L. Köhler, Wien, bei Schreiber). – Op. 500: „Vollständige theoretisch-praktische Pianoforteschule“, 3 Theile; Supplement oder 4. Theil in 4 Capiteln“ (darunter Cap. II und III über den richtigen Vortrag der sämmtlichen Beethoven’schen Werke für das Pianoforte. Wien, bei Schreiber. In englischer Uebersetzung: „Complete theoretical and practical Piano-Forte-School in 3 vol.“, London, publ. by Cocks & Co.). – „Die Kunst des Fingersatzes auf dem Pianoforte, eine Sammlung class. Compositionen mit Bezeichnung der Applicatur“ (24 Hefte. Wien bei Schreiber). – Op. 834: „Die höhere Stufe der Virtuosität“ (Wien, bei Schreiber). – „Briefe über den Unterricht auf dem Pianoforte, als Anhang zu jeder Clavierschule“ (Schreiber). – Op. 600: „School of practical composition in three volumes“. London, Cocks & Co. (Enthält auch ein Verzeichniß aller gedruckten und ungedruckten Werke Czerny’s. Dies Werk ist in Cock’s handschriftlichem Katalog deutsch bezeichnet: „Die Schule der praktischen Tonsetzkunst oder vollständiges Lehrbuch der Composition aller Gattungen und Formen der bis jetzt üblichen Musikstücke, sowol für Instrumente wie für den Gesang etc.“). – A. Reicha’s „Vollständiges Lehrbuch der musikalischen Composition“ in 5[WS 1] Bänden, franz., mit deutscher Uebersetzung von C. (Schreiber, 1834[WS 2]). – Op. 815: „Umriß der ganzen Musikgeschichte“ (Mainz, Schott’s Söhne. 1851. Ital.: „Schizzo di tutta la storia della musica.“ Milano. Riccordi).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Richtig: 4
  2. Richtig: Diabelli, Wien 1832